Hintergrund und Motivation

Umweltrelevanz

Seeufer und ihre landseitigen Kontaktzonen gehören in Mitteleuropa zu den am intensivsten beanspruchten Lebensräumen. Wesentliche treibende Faktoren des Nutzungsdrucks sind neben der Landwirtschaft und der Siedlungsnutzung v. a. touristische und (Nah-)Erholungsnutzungen (Venohr et al. 2018). Hier sind insbesondere die private Freizeitschifffahrt (Motorboote, motorisierte Segelboote) und die überwiegend touristisch genutzten Fahrgastschiffe und Fähren zu nennen (Moksnes et al. 2019).
Einerseits befriedigen diese Freizeitgestaltungsmöglichkeiten eine hohe Nutzernachfrage und tragen wesentlich zur regionalen Wertschöpfung bei, andererseits stehen sie im Kontrast zu gemeinschaftlichen und nationalen Gewässerschutzzielen (EG-WRRL, WHG, Landeswassergesetze), Naturschutzzielen (EG FFH-RL/Natura2000) und regional auch zu Denkmalschutzzielen (Erhalt der UNESCO-Welterbestätten „Pfahlbauten rund um die Alpen“). Die Flotte der privaten Freizeitboote auf europäischen Binnen- und Küstengewässern wird auf 5,9 Mio. Einheiten geschätzt (zit. n. Gabel et al. 2017). Ihre Zahl auf den deutschen Seen ist nicht bekannt, dürfte aber in der Größenordnung von mehreren Hunderttausend liegen. Auch die Zahl der Fahrgastschiffe und Kfz-Fähren lässt sich derzeit nicht exakt bestimmen. Im Rahmen der allgemein starken Zunahme von touristischen Aktivitäten (vgl. Project M 2015) ist zukünftig mit einem Ausbau der Flottenstärke sowie der mittleren Größe (Verdrängung) und dem Nutzungskomfort der Einheiten zu rechnen. Hinzu kommen eine Verdichtung der Fahrpläne (Fahrgastschifffahrt), die Verlängerung der Saison und die Ausweitung des touristischen Angebots in Form von Sonderfahrten und Charterangeboten, wie z. B. am Bodensee deutlich wird.


Umweltfolgen

Die unmittelbaren ökologischen Folgen der motorisierten Schifffahrt bestehen potenziell u. a. in

  • einer starken Wellenerzeugung und Erosionsvorgängen in der Flachwasserzone (Hofmann et al. 2008, 2011, Hofmann & Ostendorp 2017, Hofmann et al. 2019), denen häufig mit massiven Uferschutz-Einbauten begegnet werden muss,
  • der Inanspruchnahme von Wasserflächen für Infrastruktureinrichtungen wie Häfen, Steganlagen, Bojenfelder usw. und von Landflächen für Versorgungseinrichtungen, Parkplätze, Wasserungsanlagen, Landliegeplätze u. a., gefolgt von entsprechenden uferstrukturellen Veränderungen (Ostendorp & Ostendorp 2015),
  • der Erosionsbelastung von Unterwasserdenkmälern, u. a. solchen des UNESCO-Welterbes (Hofmann & Ostendorp 2015, Ostendorp et al. 2016),
  • der Degradation von Lebensräumen (Schwimmblattbestände, Uferröhrichte, Uferwälder) und
  • der Beeinträchtigung von aquatischen und amphibischen Lebensgemeinschaften, darunter auch die für die Umsetzung der EG-WRRL wichtigen Qualitätskomponenten Makrophyten und Makrozoobenthos sowie der Fische (zusammenfassend Gabel et al. 2017),

weiterhin in der Abgas-Emission durch Diesel- und Hochleistungs-Ottomotoren (Außenborder), darunter auch die klimarelevante Produktion von Kohlendioxid, der Abwasser-Produktion (Schwarz- und Grauwasser), chemischen Emissionen aufgrund von Anti-Foulinganstrichen u. a. Hilfsstoffen und Lärm-Emissionen (zusammenfassend Moksnes et al. 2019).

Dieser Wirkungskomplex, der sowohl Aspekte des Gewässerschutzes als auch des Naturschutzes, einschließlich der Erholung in der freien Natur, sowie den Klimaschutz berührt, beeinträchtigt schon jetzt bestimmte Ökosystemleistungen für die Gesundheit und Erholung des Menschen und für die Bereitstellung von qualitativ hochwertigem Wasser.


Sozioökonomische Struktur und Entwicklungstrends

Der motorisierte Wassersport ist in den Seenlandschaften Deutschlands eine hervortretende Form der individuellen Freizeitgestaltung, die von zahlreichen Wassersportvereinen und ihren Dachverbänden lobbyiert wird (Venohr et al. 2018). Ihnen stehen die Bootshersteller und -ausstatter zu Seite, die ihre Produkte auf mehreren jährlichen Fachmessen in Deutschland und in zahlreichen Fachzeitschriften präsentieren und damit auch neue Trends initiieren und weitertragen. Hinzu kommen kommerzielle Angebote der Fahrgastschifffahrt, der Charterboot-Anbieter und der Anbieter der landseitigen Infrastruktur (Marinas, Werften, Gastronomie u. a.). Damit besitzt der motorisierte Wassersport eine bedeutende ökonomische und das Freizeitverhalten großer Bevölkerungsteile beeinflussende Komponente, die signifikant zur Wertschöpfung v. a. in ländlichen Tourismus-Destinationen beiträgt (Project M GmbH 2015). Über die Nutzungs- und Nutzerstrukturen (z. B. Größe und technische Informationen zur Schiffsflotte, Schiffseigner, Nutzungseffizienz und saisonale Verteilung) und ihre Relevanz für die damit in Zusammenhang stehenden Umweltauswirkungen ist viel zu wenig bekannt.


Konflikte und Steuerungsmöglichkeiten

Der weltweit im Vergleich zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung überproportional wachsende Tourismus-Sektor führt bereits seit geraumer Zeit zum „Overtourism“ in attraktiven städtisch geprägten und ländlichen Reisezielen (Cappochi et al. 2019). Inwieweit auch Wassersportreviere und die mit ihnen verbundenen Naherholungsgebiete einer solchen Entwicklung ausgesetzt sind (oder zukünftig ausgesetzt sein könnten), ist bislang nicht untersucht. Ebenso fehlt es an Konzepten, wie die ökologischen Belastungsgrenzen für dieses Freizeitsegment dargestellt und daraus nachhaltige Nutzungsstrukturen abgeleitet werden können, die auf Dauer die Ökosystemleistungen der Stillgewässer sichern.

So kommt der umfassende Bericht von Moksnes et al. (2019), der vor allem die schwedische Ostseeküste im Blick hat, zu dem Schluss, dass die aktuelle Dichte des Bootsbestandes, der zugehörigen Infrastruktur sowie des ungebrochenen Wachstumstrends nicht nachhaltig sind. Im letzten Kapitel des Berichts werden auch mögliche Maßnahmen und Lösungen für eine zukünftige nachhaltige Nutzung diskutiert, die sich im Wesentlichen auf Restriktionen (z. B. Geschwindigkeitsbegrenzungen und Zugangsbeschränkungen), Ausweisung von Schutzgebieten und technischen Neuerungen stützen.

Aber auch unterhalb dieser Schwelle werden vielfältige Konflikte zwischen der motorisierten Schifffahrt einerseits und dem nicht motorisierten Wassersport (z. B. Segel-, Ruder- und Kanusport, Badebetrieb), der Fischerei, dem Naturschutz (Landschafts- und Wasserflächen-Verbrauch, Störung von Pflanzen- und Tierpopulationen), dem Gewässerschutz (Emissionen im Normalbetrieb, Vorsorge für den Havariefall) und dem Schutz von Unterwasserdenkmälern (u. a. UNESCO Welterbestätten „Pfahlbauten um die Alpen“) sichtbar.

Für die Steuerung und Minimierung der Konflikte stehen eine Reihe von Instrumenten zur Verfügung, die von Fachplanungen (z. B. Wassersportpläne) über schifffahrtspolizeiliche Vorschriften (z. B. Schifffahrtsordnungen) bis hin zu Selbstverpflichtungen der Betreiber (z. B. Umweltberichte, ‚Zehn goldene Regeln‘) reichen. Generell stehen Umweltbelange jedoch eher im Hintergrund.


Literatur

Capocchi, A., Vallone, C., Pierotti, M., & Amaduzzi, A. (2019). Overtourism: A literature review to assess implications and future perspectives. Sustainability, 11(12), 3303.
https://doi.org/10.3390/su11123303

Gabel, F., Lorenz, S., & Stoll, S. (2017). Effects of ship-induced waves on aquatic ecosystems. Science of The Total Environment, 601602, 926–939.
https://doi.org/https://doi.org/10.1016/j.scitotenv.2017.05.206

Hofmann, H., Lorke, A., & Peeters, F. (2008). Temporal scales of water-level fluctuations in lakes and their ecological implications. In Ecological Effects of Water-Level Fluctuations in Lakes (pp. 85–96). Springer.
https://doi.org/10.1007/978-1-4020-9192-6_9

Hofmann, H., Lorke, A., & Peeters, F. (2011). Wind and ship wave‐induced resuspension in the littoral zone of a large lake. Water Resources Research, 47(9).
https://doi.org/10.1029/2010WR010012

Hofmann, H., & Ostendorp, W. (2015). Wellenexposition und Sedimentmobilisierung im Bereich ausgewählter Unterwasserdenkmäler (UNESCO-Welterbestätten) des Bodensees.
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-0-309548

Hofmann, H., & Ostendorp, W. (2017). Hydrodynamische Exposition und Sedimentremobilisierung in der Kressbronner Bucht und Seebodenveränderungen am Kressbronner Steg durch die Kursschifffahrt: Ergebnisse aus dem Verbundprojekt HyMoBioStrategie. Kressbronner Jahrbuch, 30.
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-2-1im0o48uyzysq8

Hofmann, H. (2019): Messung und Modellierung von Wellen, Strömungen und Sedimenttransport in der Flachwasserzone von Seen. – In: Hofmann, H. & Ostendorp, W. (Hrsg.), 2019., S. 97-116.
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:352-2-b062ryqkzdkt3

Moksnes, P.-O., Eriander, L., Hansen, J., Albertsson, J., Andersson, M., Bergström, U., … Granhag, L. (2019). Fritidsbåtars påverkan på grunda kustekosystem i Sverige.
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Ostendorp, W., & Ostendorp, J. (2015). Analysis of hydromorphological alterations of lakeshores for the implementation of the European Water Framework Directive (WFD) in Brandenburg (Germany). Fundamental and Applied Limnology, 186(4), 333–352.
https://www.cabdirect.org/cabdirect/abstract/20153373436

Ostendorp, W., Peeters, F., Hofmann, H., Schlichtherle, H., & Brem, H. (2016). Erosion hazards and efficient preservation measures in prehistoric cultural layers in the littoral of Lake Constance (Germany, Switzerland). Conservation and Management of Archaeological Sites, 18(1–3), 217–229.
https://doi.org/10.1080/13505033.2016.1182757

Project M GmbH (2015): Studie. Wirtschaftliche Effekte im Wassertourismus in Berlin und Brandenburg. Hg. v. IHK Berlin-Brandenburg.
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:kobv:109-1-8427449

Venohr, M., Langhans, S. D., Peters, O., Hölker, F., Arlinghaus, R., Mitchell, L., & Wolter, C. (2018). The underestimated dynamics and impacts of water-based recreational activities on freshwater ecosystems. Environmental Reviews, 26(2), 199–213.
https://doi.org/10.1139/er-2017-0024